„Wir bewilligen dem Aberglauben in unserem Geist keinen eigenen Ort, der demjenigen der griechischen Mythologie entspräche, und der Aberglaube rächt sich, indem er unter dem Deckmantel eines abstrakten Vokabulars den gesamten Bereich des Denkens heimsucht.“
Aby Warbung (1866–1929) fasste seinen Aufsatz zu den Heidnisch-Antiken Weissagungen in Wort und Bild zu Luthers Zeiten von 1920 mit der Beobachtung einer Dialektik zwischen Logik und Magie zusammen: „Logik, die den Denkraum - zwischen Mensch und Objekt - durch begrifflich sondernde Bezeichnung schafft und Magie, die eben diesen Denkraum durch abergläubisch zusammenziehende - ideelle oder praktische - Verknüpfung von Mensch und Objekt wieder zerstört […]“
Kaum ein anderes Kunstwerk ist so beständig mit magischem Wissen in Verbindung gebracht worden wie Rembrandts (1606–1669) sogenannter Faust (Abb. 1). Diese Betitelung muss kritisch betrachtet werden. Der Sammler Valerius Röver (1686–1739) war der erste, der diesen Druck 1731 in seinem Inventar als Doctor Faustus bezeichnete, eine Interpretation, die Goethe dazu inspirierte, eine spiegelverkehrte Kopie des Drucks als Frontispiz seines berühmten Werkes zu nutzten.
Wir schauen in ein zwielichtiges Studierzimmer. Ein gutgekleideter Mann mit Mütze stützt sich mit den Fäusten auf einen Tisch und blickt rechts zu einer seltsamen Erscheinung. In einen dicken Pelzmantel gekleidet, erinnert er an ähnliche Darstellungen von Astrologen des 16. und 17. Jahrhunderts (Abb. 3). Er trägt auch ein Amulett an einer Schnur um seinen Hals. Räumlich schwer einzuordnen, aber wohl ein wenig hinter dem Gelehrten und vor dem großen Fenster erscheint frontal ein strahlendes Kryptogramm. In dem Rauch oder Nebel, der sich darum bildet, sind die Arme einer Geisterfigur zu erkennen. Mit der rechten Hand weist sie auf einen optisch verzerrenden Spiegel, den sie mit der Linken neben dem Kryptogramm emporhält. Der strahlende Kreis befindet sich somit dort, wo der Kopf des Geistes zu erwarten wäre. Der Rest des Körpers bleibt unsichtbar. Es ist kaum zu bestimmen, ob wir hier einen verdammten Faust oder erleuchteten Wissenschaftler sehen. Der Totenschädel im Hintergrund, dessen Kiefer wie ein stumm schreiender Mund hinter dem Gelehrten lauert, gibt der Szene jedenfalls eine unheimliche Stimmung.
Zentral für jede moderne Interpretation des Werks war bisher das Kryptogramm. Im innersten Kreis finden sich die Buchstaben „I N R I“, darum „+ ADAM + TE + DAGERAM“ und außen „+ AMRTET + ALGAR + ALGASTNA ++“. Über etwa 100 Jahre haben Forscher*innen ihre verschiedenen Auslegungen der Inschrift vorgelegt, von denen noch keine zu überzeugen vermochte. Hans-Martin Rotermund wies schon 1957 auf Medaillen und Siegel mit fast identischen Inschriften hin.
„Im folgenden aber soll - im Rahmen eines kritischen Berichts über zwei neuere Deutungsversuche - die Überzeugung vertreten werden, daß ein ratbares Rätsel hier gar nicht vorliegt. [...] Eben darin freilich, daß es immer wieder dazu gereizt hat, seinen labyrinthischen Gängen nachzugehen, um ‚hinter‘ sein Geheimnis zu kommen, um den apotropäischen Sperrriegel, den es darstellt zu durchbrechen, ist bereits eine Wirkung seines Zaubers zu erkennen.“
In dem Faust-Stich treten die zwei dialektischen Kräfte, die Warburg beschrieb, bildlich vor Augen. Als Betrachter*innen erfahren wir die Erscheinung zwar zum einen frontal, zweidimensional dargestellt, ganz unmittelbar und klar, aber zum anderen auch durch den forschend blickenden Gelehrten, dessen Blick wir nur zu dem vom Geist gehaltenen Spiegel verfolgen können. Was er sieht, können wir nicht sehen, genauso wie wir nicht wissen können, was er weiß. Der Inhalt bleibt so ganz gemäß der Struktur eines Kryptogramms ein Geheimnis. In dem Studienzimmer des Gelehrten finden wir den Denkraum als Bildraum, in dem Siegel die Macht des Magischen, das Bild- wie Denkraum auflöst. Deshalb erscheint die Figur des Geistes auch recht unsicher in den dreidimensionalen Raum platziert. Die Zauberformel wirkt im Bild als Ganzem weiter. In dem wiederholten, aber scheiternden Bemühen, endlich dieses Geheimnis zu lüften, findet sich „eine Wirkung seines Zaubers.“
Es dürfte kein Zufall sein, dass Rembrandt das Siegel an die Stelle eines Gesichts stellt. Der niederländische Dichter und Diplomat Constantijn Huygens (1596–1687), der Rembrandt in jungen Jahren in Leiden kennenlernte, stilisierte den Maler in seiner Autobiographie als abergläubigen Melancholiker, der von dem Verlangen ihn zu porträtieren geradezu geplagt war:
„Sein Verlangen war so unwiderstehlich, dass er schon nach wenigen Tagen die Erklärung abgab, dass er von diesem ersten Moment an nachts nicht schlafen konnte und tagsüber so verwirrt war, dass er nicht arbeiten konnte. Mein Bild war so ununterbrochen bei ihm geblieben, dass er es nicht mehr abwarten konnte, seine Begierde zu befriedigen. Die Wirkung seiner Einbildungskraft war umso bemerkenswerter, als er sich normalerweise nur schwer und widerwillig dazu überreden ließ, Porträts von jemandem zu machen, der posierte.“
Seine Obsession mit dem Gesicht, von Huygens bemerkt und durch sein beispielloses Werk von Selbstportraits materialisiert, findet in dem Faust-Stich einen besonderen Ausdruck. Rembrandts Spiel mit der Positionierung des Siegels im Bildraum, findet sich auf andere Weise in seinen Gemälden. Rembrandts berühmte impasto Technik, die uns in einer Art stereoskopischem Genuss die Farbe sehen und taktil fühlen lässt, gibt der Distanz der Betrachtung eine wichtige Rolle im Erleben des Kunstwerks (Abb. 4).
Für die Kunstgeschichte stellt sich somit die Frage: Wie mit der magischen Formel umgehen, an deren Deutung man nur Scheitern kann? Sie lösen zu wollen bedeutet in ihre Falle zu treten, ignorieren lässt sie sich dennoch nicht. In diesem kurzen Essay habe ich versucht die Eigendynamik dieser magischen Inschrift im Bild zu beschreiben. Der Kunsthistoriker Gustav Friedrich Hartlaub (1884–1963), der maßgeblich die zeitgenössische Kunst im Anfang des 20. Jahrhunderts förderte, beendete seinen Aufsatz zum Magismus als Macht im Kunstschaffen mit einer Bemerkung zu der „Untrennbarkeit des Magischen und Ästhetischen“.